Aktionsgruppe www.puure-huus.ch Bulletin Nr. 58


 

 

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

 

Nach unserer Mitteilung im letzten Bulletin, dass wir ab 1.1.09 die Rechnungen in einen KVG und einen VVG-Teil splitten müssen, haben wir eine Reihe geharnischte Reaktionen von Kollegen erhalten. Wir haben uns daher entschlossen, uns einige Gedanken über den Arzt und seine aktuelle gesellschaftliche Stellung zu machen.

 

 

 

Wenn Arzt nicht will, steht alles still…

 

Die Älteren unter uns erinnern sich sicher an die Frauenbewegung, die schliesslich sogar zum Frauenstimmrecht führten. Dabei gab es ein geflügeltes Wort: „Wenn Frau nicht will, steht alles still.“ Das war natürlich schon immer so, aber es dauerte einige Zeit, bis die Frauen sich dessen bewusst wurden.

Was für die Frauen gilt, gilt mindestens ebenso für uns Ärzte. Ohne uns funktioniert keine einzige Konsultation, schreibt sich kein einziges Rezept und macht niemand den Notfalldienst. Auch das ist schon seit Urzeiten wahr, nur sind wir Ärzte uns dessen noch fast nicht bewusst. Das BAG kann ohne uns kein einziges Kind impfen, keinen FFE veranlassen, keine einzige Konsultation durchführen. In der Praxis jedoch verhalten wir uns wie Schlittenhunde, die bei jedem Knall der Geisel in vorauseilendem Gehorsam das ohnehin horrende Tempo nochmals erhöhen. Wie schnell vergessen doch die Hunde, dass ohne sie der Schlitten nicht fährt – keinen Meter.

 

Was heisst das für uns?

Es bedeutet nicht Chaos, nicht Anarchie, auch nicht Rebellion als Prinzip. Das Bewusstsein, dass es uns braucht, müsste aber eine gegenseitige Achtung zur Folge haben. Man spricht miteinander, man hört aufeinander und man befiehlt nicht einfach. Dass die meist unausgegorenen Vorschläge mit Absicht ganz kurzfristig vor dem Jahresende verschickt werden, hat natürlich System. Es ist niemand da, der motzt und diejenigen, die da sind, sitzen schwitzend in ihren Praxen, um das ungeliebte Update noch vor Silvester zu installieren. Selbstverständlich unterstützt durch das Besetztzeichen der Hotline.

Es ist höchste Zeit, dass sämtliche Schlittenhunde zusammenstehen. Sie müssen sich bewusst werden, welche Macht sie haben, dass sie es sind, die den Schlitten ziehen und im Endeffekt auch die, die den Kurs bestimmen. Selbst wenn der  Eskimo „Bignose“ auf die rechte Seite lenkt, der Schlitten geht nur rechts, wenn die Hunde auch wirklich dahin ziehen.

Was diese Macht der Basis betrifft, möchte ich an zwei Beispielen exemplifizieren:

 

 

 

Doppelte Rechnungsstellung

 

Wir wurden kurz vor Weihnachten damit beglückt, dass wir künftig Rechnungen splitten sollen in einen KVG-Teil und einen VVG-Teil. Ob das betriebswirtschaftlich überhaupt Sinn macht, kann bezweifelt werden. Fakt ist, dass es unverhältnismässig aufwändig ist. Wer die Zeche bezahlt, steht von vornherein fest: die Schlittenhunde natürlich. Es gibt Mehrarbeit für die Programmierer, für uns Ärzte, Verwirrung bei den Patienten, und es gibt zusätzliche Kosten. Diese betreffen nicht nur den Druck, den Versand und das Porto. Unterschätzen wir den Aufwand nicht! Zwar lässt sich das Splitting relativ gut automatisieren. Es setzt aber voraus, dass wir jede Nichtpflichtleistung elektronisch markieren. Wenn nicht – dann kommen beide Rechnungen zurück: Back to field one.

 

Es muss hier auch wieder einmal daran erinnert werden, dass die Trustcenter für jede Rechnung, die sie weiterleiten, dem Lizenzgeber, Trust-X eine Gebühr schulden. Mal zwei ist auch nicht schlecht… Was das für die Vergleichbarkeit der Statistiken bedeutet, steht noch in den Sternen.

 

Und diese Mehrarbeit fällt in die besinnlichste Zeit des Jahres, natürlich ohne Übergangsfrist. Heisst das nun alles per Ende Jahr abzurechnen? Das würde die Statistiken der Trustcenter nur so durcheinanderwirbeln und würde sogar ein Wort in den Raum stellen, das wir sonst hüten wie der Bauer die Klauenseuche: Streik nämlich.

Dazu kommt ein Verhältnisblödsinn besonderer Güte: Man stelle sich vor, ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis à Franken 10.- (plus Mehrwertsteuer??) plus Porto…  Oder das berühmte Dafalgan zu Franken 3.- (ohne Beratungstaxe…). Apropos: Wie wäre es mit einer Splittingtaxe genannt „Separation-Tax“? Ohne Bonus natürlich aber dafür inklusive Porto.

 

Selbstverständlich wurde die FMH von dieser Meldung genauso überrascht wie wir. Dass sie jetzt in Verhandlungen einsteigt und zumindest eine Übergangsfrist und ein Brainstorming fordert, ist sehr zu begrüssen. Von partnerschaftlichem Respekt ist das BAG aber noch sehr weit entfernt.

Im neuen Jahr wünschen wir uns, dass die FMH den eingeschlagenen Weg weiterverfolgt und sich täglich bei der Meditation bewusst wird: Wir sind die Schlittenhunde, wir ziehen am selben Schlitten und ohne uns geht es schlicht nicht.

 

 

 

Sachverstand für D-Dimere

 

Dass bei den Labortarifen der Widerstand täglich stärker wird, steht ausser Zweifel. Auch hier gilt: Das BAG macht keinen einzelnen Labortest, es übernimmt auch nicht die Mehrkosten, wenn Patienten notfallmässig zuerst ins Regionalspital und von dort ins Grosslabor gefahren werden. Wieso integriert man die Notfallstation nicht von Anfang an in die Grosslabors?

 

Die Tarifierung ist das eine, die Liste der Analysen das andere. Von dem Analysenkuchen ist nur ein ganz kleiner Teil für uns Schlittenhunde reserviert. Zahlreiche Tests, die wir zwar routinemässig verordnen und interpretieren, sind in der Ausführung Spezialisten oder gar Grosslabors vorbehalten. Ein besonders krasses Beispiel sind die D-Dimere. Diese gehören offiziell NICHT zu den Labortests für die Grundversorger. Ich habe schon mehrere Hospitalisationen vermeiden können, weil das D-Dimer negativ war. Dass dies finanziell ein Nullsummenspiel war, versteht sich. Die relativ hohen Testkosten und die grosse Chance, dass ein Teil der Test das Ablaufdatum überschreitet, lassen den vermeintlichen Gewinn zusammenschmelzen.

 

Nun habe ich diesbezüglich ein frustrierendes Beispiel erlebt. Im Rahmen des Notfalldienstes musste ich den Asylarzt unserer Gemeinde vertreten. Um die Thoraxschmerzen abzuklären, habe ich unter anderem ein D-Dimer durchgeführt. Bekanntlich sind alle Asylbewerber im Tiers payant bei Helsana versichert. Es ist der Versicherung daher ein Leichtes, die Rechnung um den Betrag der D-Dimere zu kürzen. (Gelobt sei der Tiers garant…)

Um diese Sache prinzipiell zu klären, habe ich mit Helsana korrespondiert. Selbstverständlich beruft sich Helsana auf die gesetzlichen Bestimmungen, der einzige, der sich provokativ von Zeit zu Zeit darüber hinwegsetzen kann, ist Manfred Manser.

 

In einer zweiten Runde wurde mir der Sachverhalt genauer erklärt: (Originaltext!)

 

Das ärztliche Praxislaboratorium ist gemäss Artikel 54 Absatz 1 Buchstabe a KVV für Analysen im Rahmen der Grundversorgung grundsätzlich zugelassen. Analysen, die im Praxislabor durchgeführt und über die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) verrechnet werden können, sind in der Analysenliste (AL) 1+2 speziell gekennzeichnet.

 

Leistungserbringer haben die Möglichkeit, Anträge um Aufnahme einer Analyse in die AL beim BAG einzureichen. Wir haben beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) um Stellungnahme ersucht, warum die D-Dimere nicht für das Praxislaboratorium zugelassen sind. Wir haben folgende Antwort erhalten:

 

Das EDI hat der Aufnahme dieses Tests in die Präsenzdiagnostik für das ärztliche Praxislaboratorium mit folgender Begründung nicht zugestimmt: Die Kenntnis der korrekten Anwendung und der Aussagekraft des D-Dimere-Tests ist bei den praktizierenden Grundversorgern nicht generell gewährleistet. Deshalb ist die Qualität der Leistungserbringung in Frage gestellt und die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben. Die Ärzteschaft hat die Möglichkeit, diesen Test bei Bedarf in einem externen Labor bestimmen zu lassen.

 

Lapidar ausgedrückt: Wir sind schlicht zu dumm. Der Sachverstand, den wir beim Röntgen mit Ach und Krach bewiesen haben, geht uns beim D-Dimer völlig ab. Eine entsprechende Prüfung nach vorgängigem Kurs und Kosten von über 500.- könnte da vielleicht Abhilfe schaffen… Dass wir bei Bedarf den Test in einem externen Labor bestimmen können, ist aus zeitlichen Gründen unsinnig. Zudem bräuchte es auch dazu den Sachverstand, diesen Test korrekt verordnen und interpretieren zu können.

 

Fazit: Schlafende Hunde soll man bekanntlich nicht wecken,

schlafende Schlittenhunde aber müssen unbedingt geweckt werden!

 

Nicht vergessen: Wenn Arzt nicht will, steht alles still.

 

 

 

Redaktion der 58. Ausgabe

 

 

Dr. med. Martin Jost

Allgemeine Medizin FMH

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Tel.   044 923 55 77

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Puurehusgruppe: Sven Besek, Otto Frei, Andreas Girr, Martin Jost, Martin Schneider, Josef Widler

 

 

 

 

 

Das Motto zum Jahreswechsel:

 

Die besinnlichen Tage zwischen Weihnachten und Neujahr

haben schon manchen um die Besinnung gebracht.

(Joachim Ringelnatz - deutscher Schriftsteller und literarischer Übersetzer, 1883-1934)