Aargauer Zeitung 13.10.2012 Placebo Einheitskasse ===================== Zwei Dinge erstaunen am Gegenvorschlag zur Einheitskasse, den SP-Bundesrat Alain Berset am Mittwoch vorgestellt hat. Erstens: Alle sind sich einig, dass er sich niemals durchsetzen wird. «Berset präsentiert eine chancenlose Kassenreform» titelte der «Tages-Anzeiger» auf der Frontseite. Zweitens: Berset wird für dieses politische Geplänkel von allen Seiten gelobt – einen «geschickten Schachzug» nannte es etwa die «NZZ». Für Berset persönlich war es in der Tat ein geschickter Schachzug. So muss er seine eigene Partei nicht frontal bekämpfen, sondern kann einen Gegenvorschlag vertreten, der wichtige Grundgedanken der Initiative übernimmt. Für die Bürgerinnen und Bürger jedoch, die Jahr für Jahr höhere Prämien zahlen müssen, ist mit taktischen Spielchen nichts gewonnen. Sie brauchen Massnahmen, die die Kostensteigerung stoppen – und die eine Mehrheit finden. Berset ist zugutezuhalten, dass er das Minenfeld der Gesundheitspolitik überhaupt betritt – und Ideen hat. Sein Vorgänger Didier Burkhalter hat das Innendepartement zwei Jahre lang als Warteraum benützt, um Aussenminister zu werden. Bersets Vorschläge sind nicht unvernünftig, besonders der bessere Risikoausgleich zwischen den Kassen ist zu befürworten. Die Krux im Gesundheitswesen liegt jedoch darin: Es gibt derart viele Akteure, die vom heutigen System vorzüglich leben, dass sich immer eine unheilige Allianz gegen eine Veränderung bildet. Das zeigte sich im Juni bei der Abstimmung über die Mini-Reform «Managed Care»: Aus der einstigen Mehrheit im Parlament wurden 76 Prozent Nein-Stimmen an der Urne. Nun dreht sich also alles um die Einheitskasse, über die 2014 oder 2015 abgestimmt wird. Diese Initiative darf nicht unterschätzt werden. Denn im Gegensatz zu früheren Vorlagen schränkt sie die Versicherten nicht ein und verzichtet auf lohnabhängige Prämien. Mit anderen Worten: Für den einzelnen Bürger ändert sich in der Praxis kaum etwas. Deshalb könnte sich in dieser Initiative der Ärger über die ständigen Prämienerhöhungen entladen. Brodelt ein Thema im Volk, dann wird eine Vorlage auch mal angenommen, um ein Zeichen zu setzen – siehe Ausschaffungs- und Zweitwohnungsinitiative. Es gibt wohlklingende Argumente für eine Einheitskasse: etwa den Verweis auf die Suva, die in dieser Form gut funktioniert. Oder die Marketingkosten, die wegfallen würden. Bloss: Ein riesiger staatlicher Koloss wird kaum effizienter arbeiten als private Unternehmen. Und selbst wenn: Die Verwaltungskosten der Krankenkassen machen heute 5 Prozent der Ausgaben aus. Schön, wenn man sie etwas runterbringt. Entscheidend jedoch sind die übrigen 95 Prozent: die effektiven Gesundheitskosten. Wer die Kostensteigerung ernsthaft angehen will, muss über Leistungen und Preise diskutieren, über Einschränkungen in der Grundversicherung, Schliessung von Spitälern, neue Hausarztmodelle etc. Die Einheitskasse ist da eher ein Placebo. christian.dorer@azmedien.ch