Aktionsgruppe www.puure-huus.ch Bulletin Nr. 67
Auf Wunsch finden Sie hier das PDF-Bulletin
zum Ausdrucken!
Liebe Kolleginnen und
Kollegen,
Die Sammelaktion zur Deckung
unserer Unkosten war ein Erfolg. Herzlichen Dank an alle, die eine Spende
überwiesen haben. Herzlichen Dank auch für die ermunternden Begleitnotizen, sie
animieren uns, das Puure-Huus weiter aktiv zu betreiben. Die eingegangenen
Spenden geben uns die finanzielle Möglichkeit dazu.
Das aktuelle Bulletin ist für
die eiligen Leser wiederum zweigeteilt. Am Anfang die Themen mit kurzen
Berichten und weiterführenden Links. Im zweiten Teil das Interview mit
Hausärzte Schweiz und einige Tipps betreffend Volksabstimmungen. Die Kollegen
von Schaffhausen und Aargau sollten diesen Teil sehr genau lesen!
Jürg Schlup ist neuer FMH-Präsident!
An der
Aerztekammer vom 7.6.12 in Biel standen die Wahlen des Zentralvorstandes und
des Präsidenten der FMH an. Von den neuen Mitgliedern des ZV traten Ignazio
Cassis und Daniel Herren zurück und vier neue stellten sich zur Wahl. Gewählt
wurden im ersten Durchgang die bisherigen Amtsinhaber ausser Jacques de Haller,
neu dazu gekommen sind Christoph Bosshard, Jürg Schlup und Urs Stoffel.
(Details siehe Bulletin 66)
Im Folgenden wurde aus diesen neun Mitgliedern des ZV der Präsident
gewählt. Jürg Schlup wurde im dritten Wahlgang gewählt, nachdem sich Urs
Stoffel zurückgezogen hatte. (Details im Protokoll der Sitzung Punkt
8.1.1ff Seite 1160)
Die Wahl von Jürg Schlup wurde in den Medien als Sensation verbreitet.
Seither ist es um Jürg Schlup völlig ruhig geworden. Auch in der SÄZ erschien
keine Vorstellung. Auf Anfrage erfahren wir von Jürg Schlup, dass zwischen ihm
und Jacques de Haller die Amtsübergabe auf Mitte Dezember geplant ist und
abgemacht wurde, dass er bis zum 7.12.2012
nicht in den Medien erscheint.
Wir können diesem Prozedere durchaus zustimmen, nur
scheint uns eine Vorstellung des neuen Präsidenten bei den eigenen Mitgliedern
eigentlich ein Muss zu sein. Wir haben daher im Internet etwas gestöbert und als
lesenswerte Beiträge zum Kennen lernen von Jürg Schlup die Homepage anlässlich der
Grossratswahl BE 2009 sowie die Selbstvorstellung
in der SÄZ S.751 gefunden.
Wir wünschen Jürg Schlup für seine sehr anspruchsvolle
Arbeit als FMH-Präsident alles Gute, die nötige Geduld und vor allem viel
Durchhaltevermögen. Möge er sein selbstgesetztes Ziel erreichen, die Kräfte
innerhalb der Aerzteschaft zu bündeln und den Zusammenhalt zu verbessern, damit
die Politik unsere Stimme wirklich ernst nimmt!
Gedanken gegen die Einheitskasse
Nach der Ablehnung von Managed Care steht 2013 bereits wieder eine
Abstimmung an, die das Schweizerische Gesundheitswesen massiv beeinflussen
könnte: Die Abstimmung zur Einheitskasse.
Das marktschreierische und undurchsichtige Gebaren vieler Krankenkassen
hat die Prämienzahler in Rage gebracht. Ob der Rundumschlag
"Einheitskasse" allerdings die Lösung aller Probleme darstellt, wagen
wir sehr zu bezweifeln. Schon jetzt ist der einzelne Arzt gegenüber von
Krankenkassen in einer schlechten Position. Was aber erst, wenn es nur noch eine
Kasse gibt? Jeder von uns hat schon von Wirtschaftlichkeitsverfahren von Santé
Suisse gehört, die für den betroffenen Arzt rasch existentiell
werden können. Und genau diese David- und Goliath-Situation sollten wir nicht
freiwillig weiter verschärfen!
Willy Oggier, Gesundheitsökonom hat für
interessierte ein Büchlein geschrieben mit dem Titel "Scheinlösung
Einheitskasse". In einem Interview
legt er seine ablehnende Meinung zur Einheitskasse dar. Auch wenn die
Krankenkassen aus nachvollziehbaren Gründen gegen eine Einheitskasse sind, so
heisst das nicht, dass wir aus anderen, uns selbst betreffenden Gründen nicht
auch dagegen sein können.
Cavete
Collegae: Die Initiative ist ein Wolf im Schafspelz!
Herzblut und Abstimmungen
Wir Zürcher haben Erfahrung mit kantonalen Abstimmungen.
Dreimal mussten wir eine Abstimmung gegen die Politiker, die Juristen, die
Medien und die Apotheker gewinnen. Und auch nach dem Sieg unserer Initiative „JA
zur Wahlfreiheit beim Medikamentenbezug“ am 30.11.08 blockierten die Apotheker
die Einführung der direkten Medikamentenabgabe (DMA) in Zürich und Winterthur noch
bis zum 30.4.12 durch Rekurse!
Am 25.11.12 steht nun eine ähnliche Abstimmung im Kt
Schaffhausen an. In Schaffhausen und Neuhausen dürfen die Aerzte bisher keine
Medikamente abgeben. Im neuen Gesundheitsgesetz, das mit einer knappen Mehrheit
verabschiedet worden ist, soll im ganzen Kanton die DMA eingeführt werden. Das Hauptargument für diese Ausweitung ist die Inselsituation, in
welcher sich die Ärzte in Schaffhausen und Neuhausen befinden. Die nur knappe
Ratsmehrheit und der starke Widerstand, der gegen beide Versionen zu spüren
gewesen ist, hat die Befürchtung geweckt, dass das ganze Gesetz in der
Volksabstimmung abgelehnt werden könnte. Da aber das Gesundheitsgesetz mit
Ausnahme des Art. 22 betreffend die DMA unbestritten ist, hat der Kantonsrat
einstimmig beschlossen, eine Abstimmung mit Variante durchzuführen.
Unsere
Kollegen in Schaffhausen kämpfen also am 25.11.12 mit folgenden Parolen: Gesundheitsgesetz JA – Variante NEIN Wir hoffen,
dass es ihnen gelingt, den Stimmbürgern ihren ureigenen Nutzen durch die DMA
klar zu machen.
Im Laufe des nächsten Jahres
wird im Kanton Aargau voraussichtlich über zwei entgegen gesetzte Abstimmungen
abgestimmt. Die Initiative der Aerzte "Ja zur ärztlichen
Medikamentenabgabe" wurde von den Apothekern mit einer Gegeninitiative
"Miteinander statt Gegeneinander" quittiert. Der Inhalt hinter dem
schönmalerischen Titel dürfte wohl jedem (Arzt) klar sein. Allerdings
bezweifeln wir leider sehr, dass Herr und Frau Normalbürger wissen, worüber sie
abstimmen.
An einem von der Regierung
organisierten runden Tisch konnte - wen wundert's - natürlich keine Annäherung
erzielt werden. Die Regierung hält sich aus der Fehde heraus und stellt 2013
die beiden Initiativen ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung.
Eine Abstimmung ist nur zu gewinnen, wenn ein
"Feu sacré" den Grossteil der Aerzte inspiriert und beflügelt. Bei
einer Abstimmung über die DMA gibt es innerhalb der Aerzteschaft keine
Verlierer, sondern nur Gewinner! Auch Spezialisten und Spitalärzte sind
aufgerufen, die Patienten zu informieren. Aus Solidarität und als Dankeschön
für die Zuweisungen.
Wir wünschen den Kollegen im Kt Schaffhausen und im Kt Aargau viel
Erfolg bei Ihren Abstimmungen. Denken Sie immer daran: Wer "A" sagt
muss auch "B" sagen – oder - wer die DMA will muss sie auch
erstreiten! Nichts wäre
verheerender für die ärztliche Medikamentenabgabe als zwei verlorene
Abstimmungen!
Hausärzte
Schweiz
Im Herbst 2009 haben sich die die drei Fachgesellschaften
der Grundversorger (Allgemeinmediziner SGAM, Internisten SGIM und Pädiater SGP)
in einem einzigen grossen Berufsverband «Hausärzte Schweiz»
zusammengeschlossen um ihre berufspolitischen Ziele mit mehr Gewicht vertreten
zu können. Das zentrale Projekt, gleich zu Beginn der Verbandsgründung war die
eidgenössische Volksinitiative "Ja zur Hausarztmedizin", die am
1.10.09 lanciert und nach sechs Monaten mit 200'000 Unterschriften eingereicht
wurde.
Im Mai 2012 hat BR Berset einen "Masterplan" verkündet. Wichtige
Anliegen der Initianten sollen so rasch als möglich erfüllt werden, um einen
Rückzug der Initiative zu erreichen. So soll im Tarmed ein eigenes Kapitel für
Grundversorger eingefügt werden und im Labor soll der Point of Care Tarif
gelten. Das ganze wird ca 350 Mio kosten. Woher das Geld kommt ist allerdings
noch gar nicht klar.
Warum plötzlich diese Hektik? Warum werden die Hausärzte so umworben
und geradezu verwöhnt?? BR Berset will den Rückzug der Initiative erreichen. Ob
dann der Gegenvorschlag alleine zur Abstimmung kommt oder auch beerdigt wird, ist
noch nicht klar.
Ein
erstes Zückerchen haben die Grundversorger per 1.9.12 erhalten, indem der Uebergangszuschlag beim
Präsenzlabor von 1.- auf 1.10 Fr erhöht wurde. Im
revidierten Medizinalberufegesetz (MedBG) soll die Hausarztmedizin in den Aus-
und Weiterbildungszielen der Ärzte ausdrücklich erwähnt werden und es sollen ab
dem Jahr 2018/19 jährlich rund 300 Ärzte zusätzlich ausgebildet werden. Diese
Massnahmen werden aber sicher nicht ausreichen um den Aerztemangel in der
Grundversorgung positiv zu beeinflussen und sind noch ungenügend um den Rückzug
der Initiative zu erreichen.
Das Puure-Huus hat ein schriftliches Interview mit
Kollege Marc Müller, Präsident von Hausärzte Schweiz und Kollegin Franziska
Zogg Leiterin der Kommission Tarife durchgeführt. Das Interview ist vor allem
für Grundversorger lesenswert. Wir haben es im zweiten Teil abgedruckt. Besten
Dank an Marc Müller (MM) und Franziska Zogg (FZ) für die Antworten.
Auch Grundversorger wollen Geld verdienen
Beim Lesen von Zeitungsartikeln ist die
gespielte Naivität von Journalisten oft erschreckend. Keiner will eine Ahnung
zu haben, weshalb die Grundversorger keine Nachfolger finden. Zur Behebung des
Engpasses werden die wildesten Rezepte angeboten, meist auf neuen Vorschriften
und Einschränkungen basierend.
Dabei ist die wichtigste Antwort auf
die Frage, warum die jungen Aerzte nicht in die Grundversorgung gehen wollen,
ganz einfach tabu: Es ist wirtschaftlich nicht mehr attraktiv eine eigene
Praxis zu führen. Wir warten seit dreissig Jahren auf den Teuerungsausgleich
(Kaufkraftverlust ca 1/3!). Die Reisen mit der Pharmaindustrie wurden der Moral
geopfert, das Labor wurde aus Spargründen defizitär gemacht, die Marge auf den
Medikamenten soll weiter gesenkt werden, usw. Nur die Qualität muss natürlich steigen,
selbstverständlich gratis. Jede (!) kostensparende Massnahme im Gesundheitswesen
der vergangenen Jahre ging zu Lasten der Grundversorger!
Ein weiterer Grund für die fehlende
Attraktivität in die Grundversorgung zu gehen liegt sicher auch im Imageverlust
der Aerzte in den letzten Jahren. Wer ist schon gerne der Buhmann der Nation und
ständig mit einem Fuss im Gefängnis? Alle anderen vorgebrachten und diskutierten
Argumente sind zwar gesellschaftskompatibel, stellen aber wohl nur ein
Nebenproblem dar.
Für die Leistungsbezüger (und Wähler),
die sich je länger je mehr wie im Selbstbedienungsladen mit medizinischen
Leistungen eindecken, soll dafür alles billiger werden. Die Aerzteschaft ist
der einzige Beruf mit negativem Kostenbewusstsein. Das Unwort
"Kostenneutralität" hat sich in der ambulanten Medizin festgesetzt
wie die Made im Speck. Und da wundern wir uns, wenn die Studienabgänger nicht
mehr in die Grundversorgung gehen wollen??
Die aktuellen Grundversorger sitzen
"in der staatlichen Falle". Sie arbeiten in einer geschützten
Werkstatt mit Beschäftigungsgarantie. Das Risiko der Freiberuflichkeit ist
minimal geworden, allerdings wurden dafür auch die Vorteile geopfert. Mangels
Nachfolger werden die Praxen an KK und neu auch an Spitäler verkauft. Diese
Institutionen beschäftigen angestellte Aerzte, deren Teuerungsausgleich und
Altersvorsorge durch die Gewerkschaften garantiert wird.
Um die selbstständige Grundversorgung
wieder attraktiv zu machen, müssen wir erkennen, dass die staatliche Lenkung
versagt hat und jede zusätzliche Regulierung weiter in die Sackgasse führt.
Also sind neue Ideen gefragt. Zunächst wäre ein Teuerungsausgleich nichts anderes
als anständig. Dann sollten wir über die Wiedereinführung des ambulanten
Privattarifs nachdenken, wie im Editorial im Primary Care von Stephan Rupp
gemacht. Die unternehmerische Freiheit muss wiederhergestellt werden. Unter der
Bedingung, dass jeder Arzt seinen Taxpunktwert frei gestalten kann (siehe
Zahnärzte!), könnte man auch über eine Aufhebung des Kontrahierungszwanges
sprechen.
Kostenregulierende Massnahmen müssen
unbedingt da ansetzten, wo die Kosten verursacht werden. Eine höhere Selbstbeteiligung
der Patienten für bezogene Leistungen ist daher wohl unumgänglich. Es kann
nicht sein, dass sich jeder schamlos bedient und andere die Rechnung bezahlen.
Der Griff ins eigene Portemonnaie würde sicher heilsam auf den Konsum wirken -
wahrscheinlich aber nicht auf die Wählerstimmen der Protagonisten im Parlament…
Die
FMH als noble Verliererin…
Was ist die
zentrale Aufgabe der FMH? Die Vertretung der politischen und wirtschaftlichen
Interessen ihrer Mitglieder.
Was ist die FMH
nicht? Eine Organisation zur moralischen und ethischen Verbesserung der
Gesellschaft.
Die FMH ist
ausserordentlich heterogen, Glaubens- und Gewissensfragen werden unter den
Mitgliedern immer kontrovers diskutiert. Jede öffentliche Stellungnahme in diesen
Bereichen gefährdet somit die Einheit der FMH!
Wir fragen uns
wirklich, weshalb wir für die Waffeninitiative Partei ergriffen haben und noch
mehr wundert es uns, dass der ZV offenbar daraus nichts gelernt hat. Warum nur
ist die FMH dem Abstimmungskomitee "Schutz vor Passivrauchen"
beigetreten?! Dass Rauchen schädlich ist weiss jeder und jeder kann für sich
einem Abstimmungskomitee beitreten, ohne dass es die FMH tun und verlieren
muss.
Gedanken
zur Qualititis
Wo Menschen sind geschehen Fehler und Unfälle. Soweit möglich und
sinnvoll müssen wir sie vermeiden. Die Prävention darf aber nicht teurer sein
als der mögliche Schaden - sollte man meinen.
In den letzten Jahren hat sich in allen Bereichen unserer Gesellschaft
eine sich verselbstständigende Qualitätswut eingeschlichen. Diese wird vor
allem durch die Journalisten angeheizt, die jedes Problem als Umsatzknüller
missbrauchen. Im Schlepptau kommen die Politiker, die Wählerstimmen sammeln.
Die Folge ist eine Flut von Gesetzen, deren Durchführung natürlich
überwacht werden muss. Dass diejenigen, die diesen Ueberwachungsjob ausführen,
meist weniger qualifiziert sind als die Ueberwachten selber, wissen wir nur zu
gut. Ebenso dass diese Personen Ihre Daseinsberechtigung zelebrieren. Dass zudem
die Ueberwachten die Ueberwachung meist auch noch selber bezahlen müssen
erscheint mindestens willkürlich. Die Spitze der Problematik ist aber die
Tatsache, dass die positive Wirkung der Kontrollmassnahmen gar nie überprüft
wird. Wir sind sicher, dass vieles sinnlos oder sogar kontraproduktiv ist.
Bei der FMH besteht das Ressort DDQ (Daten, Demographie,
Qualität), das sich seit Jahren mit Fragen der Qualität und deren Messbarkeit
in der Medizin befasst. Die Idee ist, das Qualitätsproblem selber zu bearbeiten
und das Feld nicht den Politikern und Journalisten zu überlassen. Hoffen wir,
dass es uns gelingt, mit gesundem Menschenverstand die Qualititisspirale zu
bremsen.
Wenn die Geschichte vom Schäfer nicht harte Realität wäre, könnte man
darüber lachen, aber das vergeht leider jedem im täglichen Umgang mit sinnlosen
und weltfremden Bestimmungen.
Wer stoppt die mediale Lynchjustiz?
2007 erllitt am Spital Wil SG eine 7-fache Mutter bei Todgeburt ihres
achten Kindes einen Gebärmutterriss und starb nach einer Fehlbeurteilung der
Chefärztin Gynäkologie / Geburtshilfe Stunden später nach notfallmässiger
Verlegung im Kantonsspital St. Gallen.
Mit der Familie konnte offenbar eine Übereinkunft getroffen werden, der
Ehemann ist nie von sich aus in die Öffentlichkeit getreten. Die Chefärztin
bekam eine Unterstützung im Hintergrund in der Person des ehemaligen
erremittierten Ordinarius USZ und ehemaligen Chefarztes am Kantonsspital St.
Gallen, sie arbeitete aber auf ihrem Posten zur Zufriedenheit des Arbeitgebers
und Spitalträgers Wil weiter.
Die Justiz braucht bis zum Urteil über den Behandlungsfehler 5 (!!) Jahre.
Nach dem Urteil kommt es wie zu erwarten in den Medien zu einem riesen
Geschrei. Die Frage wird hoch gepuscht, ob die Chefärztin noch tragbar sei.
Die Geschichte ist exemplarisch: In einer Akutsituation führt eine
Fehldiagnose zum Tod. Die absolute Horrorvision eines jeden Arztes. Wie durch
ein Wunder ist die Chefärztin Gynäkologie auf ihrem Posten überhaupt noch
einsatzfähig (die Frage nach dem vielbeschworenen Careteam wurde in Bezug auf
die Chefärztin in der Presse nie gestellt). Durch ihre weitere Tätigkeit
beweist sie eine weit überdurchschnittliche Belastbarkeit.
Jahre später wird der Fehler juristisch beurteilt und mit dem Urteil abgeschlossen.
Man würde meinen, dass nun der Albtraum für die Aerztin vorbei sei. Aber weit
gefehlt! Jetzt kommt es durch die Journalisten und Politiker zu einer Nachverurteilung
die uns mindestens so verwerflich erscheint wie eine Vorverurteilung.
Das Puure-Huus stellt sich die Frage, ob es nicht auch Aufgabe der Aerztegesellschaft
wäre, in solchen Fällen mässigend auf Medien und Politik einzuwirken.
Selbstverständlich lassen sich dadurch keine Lorbeeren ernten, es kann aber
nicht sein, dass wir Anlaufstellen für Patienten unterhalten (und bezahlen) und
unsere eigenen Mitglieder im Regen stehen lassen.
Dr. med. Andreas Girr
Allgemeine Medizin FMH
Waldstr. 18
8132 Egg (ZH)
Tel. 044 984 01 11
Fax 044 984 27 51
Email andreas.girr@puure-huus.ch
Puure-Huus Gruppe: Andreas
Girr, Martin Jost, Martin Schneider, Bernhard Sorg, Josef Widler
Motto des Tages:
Demokratie ist ein Verfahren, das garantiert,
dass wir nicht besser regiert werden,
als wir es verdienen.
George Bernard Shaw
Im
zweiten Teil finden Sie zu zwei der obigen Themen vertiefte Informationen.
Allgemeinpraktiker sollten das Interview mit Hausärzte Schweiz lesen. Die
Aerzte der Kt. Schaffhausen und Aargau die Tipps zum konkreten Vorgehen bei
Abstimmungen.
Interview
mit Hausärzte Schweiz
1. Durch den Masterplan von BR Berset sollen die
Hausärzte finanziell besser gestellt werden. Ein erstes Zückerchen haben die
Hausärzte per 1.9.12 erhalten, indem der Uebergangszuschlag von 1.- auf 1.10 Fr
erhöht wurde. Wie viel macht dieser Aufschlag für eine durchschnittliche
Grundversorgerpraxis im Jahr aus?
FZ: Die Aufwertung macht genau 10 Rappen
pro Analyse aus. Jede(r) kann im Praxisspiegel für sich nachprüfen, wie gross
damit die Summe pro Jahr ca werden wird. Dies ist natürlich für unser Point of
Care-Labor völlig ungenügend, aber als Schritt in die richtige Richtung zu werten.
2. Ziel ist die Einführung des "Point of care
Tarifes", des marktwirtschaftlich gerechneten Labortarifes. Kann der Point
of Care Tarif den Verdienstausfall, der den Grundversorgern per 1.7.09 durch
die Revision der Labortarife entstanden ist wett machen?
FZ: Die Revision führte dazu, dass das
Praxis-Labor nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden kann und damit
querfinanziert werden muss. Der neue POC-Tarif soll betriebswirtschaftlich
korrekt gerechnet werden und damit den Ausfall ausgleichen. Dies heisst aber
nicht, dass die einzelnen POC-Analysen so bewertet werden wie im alten Tarif.
Es wird verglichen mit dem alten Tarif vor Juli 2009 höhere, aber auch tiefere
Vergütungen pro Analyse geben.
MM: Es kommt ausserdem darauf an, welche
und wie viele Analysen nach dem POC-Tarif berechnet werden.
3. Ein marktwirtschaftlicher Tarif würde die
Situation der Grundversorger etwas verbessern, es gibt aber an anderen Orten im
Tarifwesen ebenfalls noch Nachholbedarf. Welche weiteren Bereiche werden
aktuell bearbeitet und wie weit sind die Arbeiten fortgeschritten?
FZ: Im Bereich Tarmed steht das neue
Grundversorger-Kapitel 40 bis auf einige technische Fragen und soll – sofern
die Delegiertenversammlung der FMH im November zustimmt – im Revisionsprozess
vorgezogen werden. Nur so ist eine verbindliche Einführung im Rahmen des
Masterplans möglich. Ein weiterer Bereich mit Nachholbedarf ist die Vergütung
von neuen Aufgaben der MPA, z.B. im Rahmen von Chronic Care Management, oder
für delegierte Arbeiten wie Wundkontrollen, Hausbesuche etc., die im Moment
nicht verrechnet werden können. Ob diese Vergütung neu im Tarmed oder
ausserhalb geregelt werden soll, wird auf Ebene Masterplan und im Rahmen von
Tarvision angeschaut. Die Arbeiten stehen aber noch am Anfang. Für die nDMA
engagieren wir uns innerhalb der Task Force FMH. Auf kantonaler oder regionaler
Ebene ist die Finanzierung der Telefontriage (Ärztefon, Medphone) zur
Unterstützung des Notfalldiensts ein Thema. Die Verhandlungen dazu müssen
allerdings regional geführt werden; wir können Beispiele und Kontaktpersonen
vermitteln. Ein wichtiger Bereich ist die elektronische Dokumentation /
Patientendossier. Mit der Gründung des IPI (Institut für Praxisinformatik) am
22.6.2012 zusammen mit der KKA und dem IHAMZ wollen wir unter anderem
einheitliche Standards fördern, Gratis-Mehrarbeit oder zusätzliche finanzielle
Investitionen ohne Gewinn für die Praxis verhindern und die KollegInnen auf dem
Weg zur elektronischen KG unterstützen.
4. Durch den Masterplan will BR Berset den Rückzug
der Hausarzt-Initiative erreichen und so den Weg für den Gegenvorschlag frei
machen. Dieser Gegenvorschlag ist bekanntlich kein echter Gegenvorschlag
sondern kommt einer Neuregelung der Basis-Gesundheitsversorgung gleich, in dem
die Hausärzte nicht einmal Erwähnung finden. Unter welchen Bedingungen sind Sie
bereit die Initiative zurück zu ziehen? Ist der Gegenvorschlag für Sie
überhaupt akzeptabel?
MM: Wie Sie wissen, hat der Ständerat
sowohl unsere Initiative wie den Gegenvorschlag abgelehnt. Der SR-eigene
Gegenvorschlag dient dazu, 12 Monate mehr Zeit für die Ausarbeitung des
Masterplans zu erhalten, mit dem Ziel, dass der Masterplan sowohl Initiative
wie Gegenvorschlag ersetzt.
In den Bereichen MedBG sowie „Bildung
und Forschung“ verlaufen die Arbeiten zur Aufwertung der Hausarztmedizin sehr
erfolgreich, aber ausschlaggebend für den Entscheid des Initiativkomitees
(nicht des Berufsverbandes!) über einen Rückzug der Initiative werden die
Resultate im Bereich „Finanzierung und Versorgung“ sein. Hier gestalten sich
die Diskussionen erwartungsgemäss am schwierigsten…
5. Gemäss EDI sollen ab 2018/2019 zusätzlich 300
Mediziner ausgebildet werden. Da die Aus- und Weiterbildung für einen
Grundversorger ca 12 Jahre dauert, können wir ab 2030 (!!) mit zusätzlichen
Aerzten rechnen. Was muss zwischenzeitlich konkret getan werden, damit die
Grundversorgung durch die Pensionierungswelle bei den Hausärzten nicht zusammenbricht?
Warum ergreifen Ihrer Ansicht nach aktuell nicht mehr Aerzte die Laufbahn eines
Allgemeinpraktikers? Wie kann die Attraktivität für Grundversorger so
gesteigert werden, dass die zusätzlichen Aerzte tatsächlich als Hausärzte
arbeiten?
MM: Alle notwendigen Massnahmen
bezüglich Attraktivität des Hausarztberufes stehen in unserer Initiative und
werden im Masterplan angegangen. Aber: Der steigende Bedarf an
Grundversorgungsleistungen kann dadurch sowieso nicht vollständig gedeckt
werden, da gleichzeitig auch ein Mangel an verschiedenen anderen
Grundversorgerberufen (Pflege…) besteht. Ohne grundsätzliche Überlegungen zu
unserer Gesundheitsversorgung, über eine neue Rollenverteilung zwischen allen
möglichen Gesundheitsberufen („Skillmix“) lassen sich diese Herausforderungen
nicht bewältigen. Die Frage lautet: wer tut was in der medizinischen Grundversorgung,
daran muss sich die zukünftige Aus- und Weiterbildung orientieren. Wir gehen
dabei von einer klaren Steuerungsfunktion des Hausarztes und seinem Lead in den
Bereichen Diagnose und Therapie aus. (einen Teil davon hätten wir dem Hausarzt
mit der Vorlage vom 17.6.12 schon sichern können...)
6. Im Frühling haben Sie Herr Müller und Frau Zogg
sich anlässlich einer Delegiertenversammlung der FMH vehement für das Abkommen
mit den KK eingesetzt, die Inkonvenienzentschädigung bei Hausbesuchen (Fr. 35.-)
in die ersten 5 Besuchsminuten (im Kt Zürich Erhöhung um Fr. 13.63) zu
integrieren. Offenbar hat der Tarifdienst der FMH (Präsident: Kollege Gähler,
Allgemeinpraktiker) sowie die Aerztekasse (Geschäftsführer: Hr Prantl) das
Abkommen zur Ablehnung empfohlen. Warum haben Sie diesen von aussen gesehen
schlechten Deal mit den Kassen partout gewünscht? Warum haben Sie eine weitere
Einkommenseinbusse der Grundversorger kampflos hingenommen?
FZ: Wir haben uns vehement dafür
eingesetzt, dass die BIP - so wie sie war - erhalten bleibt; sie wäre sonst
sang- und klanglos untergegangen mit der neuen Tarmed-Version 1.08. Santésuisse
hat dann in letzter Minute ihren Vorschlag gemacht. Wir hatten die Wahl: Nichts
oder 15.32 TP zusätzlich bei jedem Besuch (also auch im Notfall oder bei
Reihenvisiten im Altersheim, was eine Verbesserung ist gegenüber vorher).
MM: Bei genauer Betrachtung ergibt sich
zwar ein Verlust bei „regulären Einzelbesuchen“, aber die veränderten Abrechnungsregeln
bei Notfall- und Reihenbesuchen – zB im Altersheim – gleichen diesen weitgehend
aus. Die abrechenbare Gesamtsumme pro Jahr bleibt in etwa gleich. Wie hätten
SIE entschieden?
7. Hausärzte Schweiz ist der Allianz "Schutz
vor Passivrauchen" beigetreten. Befürchten Sie nicht, dass es wie bei der
Waffeninitiative zu einer Spaltung quer durch die Aerzteschaft kommt? Es gibt
viele Kollegen, welchen die bisherigen Gesetze und Regelungen zum Schutz vor
Passivrauchen genügen und die weitere gesetzliche Vorschriften in Sachen
Prävention ablehnen. Wie bei der Fassung der Parole zu Managed Care ist beim
Beitritt keine Basisbefragung durchgeführt worden. Sind Sie sicher, dass Sie
die Mehrheit der Mitglieder vertreten?
MM: „Hausärzte Schweiz“ hat sich nach
einer Befragung seiner Delegierten dazu entschieden, dieser Allianz
beizutreten, wie auch die FMH, die SGAM, die SGIM und andere
Ärzteorganisationen. Einerseits wäre es seltsam gewesen, wenn die
Fachgesellschaften Mitglied geworden wären, aber nicht der politische
Berufsverband, andererseits handelt es sich hier um ein klar medizinisch-
ethisches Problem, bei welchem es sich die Ärzteschaft nicht leisten kann, es
nicht zu unterstützen.
8. Wie viele Hausärzte gibt es in der Schweiz und
wie viele sind Mitglied von "Hausärzte Schweiz"?
MM: Die Anzahl Hausärzte ist nicht genau
eruierbar, da es nur Zahlen über die Titelträger gibt. Wir gehen von ca
6500-7000 aus, inklusive Pädiater. Gut 5500 (>80%) davon sind Mitglied
unseres Verbandes.
9. Welche Haltung hat der Vorstand von
"Hausärzte Schweiz" zur Einheitskasseninitiative? Wie wird für diese
sehr brisante Abstimmung die Parole gefasst? Vom Vorstand allein wie beim
Managed Care Referendum oder mit einer Basisbefragung?
MM: Zur Erinnerung: nicht der Vorstand
entscheidet bei MFE, sondern die Delegiertenversammlung, bei MC sogar 3 Mal…
Die Delegiertenversammlung wird auch festlegen, wie Meinungsbildungsprozess und
Entscheidfindung bei zukünftigen politischen Fragestellungen ablaufen werden.
Wir sind aber ständig daran, sowohl die Information der Basis wie die „Erdung“
von DV und Vorstand in der Basis zu verbessern. Es wäre erfreulich, wenn Ihre
Zeitung sich daran auch beteiligen könnte?
10. Mit der Einführung des neuen KVG 1996 wurde der
ambulante Privattarif abgeschafft. Könnte die Wiedereinführung des ambulanten
Privattarifs die Attraktivität für die Grundversorgung bei den Medizinstudenten
erhöhen? Wie könnte dieser Tarif wieder eingeführt werden? Eventuell im
"Tausch" gegen den Kontrahierungszwang?
FZ: Ein ambulanter Privattarif in der
Grundversorgung könnte nur bei einer Aufhebung des Versicherungsobligatoriums
für die Bevölkerung oder bei einer Einschränkung des Leistungskatalogs in der
Grundversicherung wieder eingeführt werden. Beides ist politisch unrealistisch
Untenstehende
Tipps haben sich bei den Abstimmungen in Zürich sehr bewährt. Scheuen Sie sich
nicht, diese umzusetzen! Die Reaktion der Patienten ist erfahrungsgemäss
praktisch ausschliesslich positiv!
Checkliste
Informieren Sie sich über die laufenden und
geplanten Aktionen bei beim Abstimmungskommittee und im Internet. Im Kanton
Schaffhausen zum Beispiel auf http://www.variante-nein.ch/Kernbotschaften.htm
Informieren und motivieren Sie Kolleginnen und Kollegen in der eigenen
Region / Gemeinde / Quartier. Das Gewinnen einer Abstimmung ist ein Team-Work!
Stellen Sie Plakate in den Ortschaften auf (Ortseinfahrt und
Ortsausfahrt; Bewilligung bei der Gemeinde und beim Grundeigentümer einholen!)
Hängen Sie die offiziellen Plakate zur Abstimmung auf. Diese sollen an
prominenter Stelle in der Praxis gut sichtbar sein!
Geben Sie das offizielle Informationsmaterial an die Patienten ab (zB: als Beilage
zu den Rechnungen!)
Legen Sie das Informationsmaterial im Wartezimmer auf und entfernen Sie
die Trivialliteratur!
Suchen Sie das persönliche Gespräch mit den Patienten!
Animieren Sie regionale
Gesundheitsorganisationen (z.B. Spitex, Physiotherapien) zum Aufhängen von
Werbematerial.
Schreiben Sie Leserbriefe an alle
Redaktionen in der Region sowie an die grossen Zeitungen
Informationsmaterial
Wir sind am
nächsten bei den Patenten und den Stimmbürgern, seriöse Mitteilungen bei den
Rechnungen werden gelesen und geschätzt. Zögern Sie nicht einen persönlichen
Brief mit Ihrem Briefkopf und eventuell Ihrem Bild bei der nächsten Rechnung
beizulegen. Dieses Vorgehen ist billig und ausserordentlich effektiv!
Vorlagen und Ideenspender
Die Puure-Huus Gruppe hat
zwischen Mai 2008 und Nov 2008 insgesamt sechsmal über den Abstimmungskampf
berichtet und konkrete Tipps mit Vorlagen und Flyer gegeben. Schauen Sie sich
unter http://www.puure-huus.ch/text/archiv.html
unseren Abstimmungskampf an und verwenden Sie daraus was Ihnen hilfreich
erscheint!
Nur
ein aktiver und persönlich geführter Abstimmungskampf wird
zum gewünschten Erfolg führen. Lassen Sie sich von Verwirrungstaktiken und
Schlammschlachten der Gegner nicht beirren: wir kämpfen gegen niemanden, wir sind nur für die
Wahlfreiheit des mündigen Bürgers! Wer
kann da etwas dagegen sagen?!